Stuttgarter Zeitung: Hat das Regionalparlament Angst vor den Bürgern?

Wenn in der Region Stuttgart ein Gewerbegebiet geplant wird, formiert sich sofort Protest, der oft in einen erfolgreichen Bürgerentscheid mündet. Der Regionalverband will darauf nun mehr Einfluss nehmen – und bringt ein umstrittenes Vorhaben auf den Weg. Von Kai Holoch

Dettingen – Der Antrag birgt mehr Sprengstoff, als es zunächst scheinen mag. In der jüngsten Sitzung des Planungsausschusses des Verbands Region Stuttgart  (VRS) hat die FDP nicht nur gewünscht, der Verband möge zeitnah berichten, wie viele regionale Gewerbe- und Vorhaltestandorte sowie Gewerbeschwerpunkte aktuell vorbereitet werden. Die Fraktion forderte auch, der VRS solle ein Konzept für die Informationsarbeit entwickeln, damit der Verband besser als bisher bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden mitwirken – und darauf einwirken könne. 

2021-06-22Stadt-STZ-Hat-das-Regionalparlament-Angst-vorden-Buergern-1

Zum Artikel auf www.stuttgarter-zeitung.de

Weitere Infos zur Rolle der Region Stuttgart am Hungerberg

Teckbote vom 16.6.21: Begleitgruppe darf mitgestalten

Gewerbegebiet Die Podiumsdiskussion zum Hungerberg wird nicht nur von der ­Verwaltung organisiert, sondern auch mit Bürgervertretern. Von Iris Häfner

Der Hungerberg sorgt in Dettingen weiter für Diskussionsstoff. Nachdem die 866 Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen das geplante, über 21 Hektar große Gewerbegebiet abgegeben wurden, nutzte Michael Hahn von der Bürgerinitiative (BI) die Bürgerfragestunde in der Sitzung des Gemeinderats, um zu erfahren, wann die BI mit einer Antragstellung rechnen kann. Er hatte vor allem die Sommerpause im Blick und damit die Fristen und die weiteren zeitlichen und formellen Abläufe des Verfahrens – insbesondere, was die Verwaltungsgemeinschaft Kirchheim-Dettingen-Notzingen betrifft. Der gemeinsame Ausschuss ist auf den 27. Juli terminiert, erfuhr er. Maßgeblich für den Bürgerentscheid ist jedoch der Bebauungsplan, weshalb es nicht um die ursprünglichen 42, sondern die 21 Hektar geht, erklärte Bürgermeis­ter Rainer Haußmann.

Nahtlos ging es so zum nächs­ten Tagesordnungspunkt über: das weitere Vorgehen zum Bürgerbegehren. Noch sind nicht alle Unterschriften auf ihre Korrektheit geprüft, aber die Verwaltung arbeitet sich voran. „Nach dem Eingang des Antrags haben wir zwei Monate Zeit zu prüfen“, erklärte Rainer Haußmann. Um sich mit diesem wichtigen Thema intensiv auseinandersetzen zu können, schlug er eine Sondersitzung am 1. Juli vor. „Das ist ausnahmsweise ein Donnerstag. Aber wir wollen rechtzeitig einladen, damit die Fraktionen sich beraten können“, sagte der Schultes mit der Begründung: „Wegen der Komplexität und der Fülle der zu prüfenden Daten und im Rahmen der verfügbaren Kapazitäten unserer Anwaltskanzlei wird es zu der geplanten Sitzung am 28. Juni nicht möglich sein.“ Fasst der Gemeinderat den Beschluss, das Bürgerbegehren zuzulassen, muss er einen Termin dafür innerhalb von vier Monaten festlegen. „Das geht bis in den Herbst rein“, erklärte Rainer Haußmann.

Peter Beck interessierte, was in diesen vier Monaten von Seiten der Verwaltung geplant ist. Die Antwort von Rainer Haußmann: „In der Gemeindeordnung ist vorgesehen, dass Vertrauenspersonen vor der Entscheidung des Gemeinderats anzuhören sind. Die Verwaltung schlägt vor, diesen Personen die Beteiligungsmöglichkeit im Rahmen der öffentlichen Gemeinderatssitzung am 1. Juli anzubieten.“ Weiter ist eine Podiumsdiskussion vorgesehen, eine Begehung sowie ein Workshop, in dem es unter anderem auch um das Thema Nachhaltigkeit gehen soll. „Wir können auch über weitere Angebote sprechen“, zeigte er sich offen. Peter Beck ist dabei wichtig, dass Befürworter und Gegner des Projekts auf Augenhöhe agieren.

Die Podiumsdiskussion ist für Dienstag, 20. Juli, in der Schlossberghalle vorgesehen, alternativ Mittwoch, 28. Juli, was jedoch der letzte Schultag ist. Die Verwaltung wollte einen Moderator vorschlagen, das Podium soll ausgewogen sein. „Bei einer Podiumsdiskussion müssen wir steuern. Die Module sind für die breite Öffentlichkeit mit Expertise da. Es gibt ein Pro und Contra“, erläuterte Rainer Haußmann. Das Podium soll auch online stattfinden.

„Die Zeit ist knapp. Alle Beteiligten sollten in die Planung einbezogen sein. Nicht nur die Verwaltung soll Herrin des Verfahrens sein“, gab Peter Beck zu Bedenken und schlug eine Begleitgruppe vor. Auch Maria Häfele sprach diese Beteiligungsmöglichkeit an. „Wir können das selber machen, ich sehe keinen Grund für eine Begleitgruppe, aber der Gemeinderat beschließt. Am Ende aber entscheidet die Bürgerschaft – und für die wollen wir eine breit angelegte Veranstaltung machen“, sagte Rainer Haußmann. Peter Beck hätte jedoch gerne die BI befragt. Eine Doppelspitze ist aus seiner Sicht eine elegante Lösung, um die Diskussion gemeinsam vorbereiten zu können. „Wir müssen das heute beschließen, sonst reicht die Zeit nicht“, verdeutlichte der Schultes die enge Zeitschiene.

Antrag auf Einrichtung einer Begleitgruppe

Somit stellte Peter Beck den Antrag, eine Begleitgruppe einzurichten. „Bevor wir jetzt Streit über den Moderator bekommen, beschließt der Gemeinderat. Das ist jetzt ein sehr wichtiger Moment“, verdeutlichte der Schultes die Lage. Bei der ersten Abstimmung gab es beim Zählen ein kleines Durcheinander. Fünf zu fünf bei vier Enthaltungen waren die Stimmen verteilt, was die Ablehnung der Gruppe bedeutet hätte. Doch eine Stimme war zu viel, was eine zweite Abstimmung nötig machte. Fünf Gemeinderäte sprachen sich für die Begleitgruppe aus, vier dagegen, die vier Enthaltungen blieben. „Dann werde ich mit Herrn Hahn über die Begleitgruppe sprechen“, sagte Rainer Haußmann.

Teckbote am 5.6.2021 : 866 befürworten den Bürgerentscheid

Protest Die Bürgerinitiative „Kein Gewerbegebiet am Hungerberg“ sammelte weit mehr als die erforderlichen 350 Unterschriften. Gestern übergab sie die Liste an Bürgermeister Rainer Haußmann. Von Iris Häfner

Bürgermeister Rainer Haus,amm (rechts) nahm die Unterschriften vor dem Rathaus entgegen. (Foto: Markus Brändli)

In knapp vier Wochen konnte die Bürgerinitiative „Kein Gewerbegebiet am Hungerberg“ 866 Unterschriften sammeln. Für das Quorum wären 350 Unterschriften nötig gewesen. „Weit mehr als doppelt so viele Dettinger unterstützen uns. Diese Bürger beantragen einen Bürgerentscheid über den Hungerberg. Diese Unterschriften stehen dafür, dass am Hungerberg weder 42 noch 22 Hektar, sondern null Hektar verbaut werden“, erklärte Michael Hahn von der BI bei der Unterschriftenübergabe an Bürgermeister Rainer Haußmann vor dem Dettinger Rathaus.

Der Schultes verlor nur wenige Worte,

in denen er klarstellte, dass seine Sicht bezüglich des geplanten Gewerbegebiets Hungerberg hinreichend bekannt sei. Es gab dazu eine Pressemitteilung der Gemeinde Dettingen. „Nun folgt die nächste Stufe des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens, in der zunächst die Prüfung aller Unterlagen und Unterschriften durchgeführt wird. Anschließend wird die Angelegenheit dem Gemeinderat zur Beschlussfassung und zur Festlegung der weiteren Schritte vorgelegt“, heißt es darin.

Kommt es zum Bürgerentscheid im Herbst, werde es von Seiten der Gemeinde bis dahin zahlreiche offizielle und unabhängige Informations- und Beteiligungsangebote für die Dettinger geben. „Dieses Zukunftsprojekt geht alle an. Darüber müssen wir breit diskutieren und alle Argumente abwägen“, so Rainer Haußmann. Im Falle eines Bürgerentscheids würde die Verantwortung in den Händen aller Dettinger Bürger liegen und nicht mehr beim Gemeinderat.

Michael Hahn nutzte die Unterschriftenübergabe, um offiziell den Standpunkt der Bürgerinitiative zu verdeutlichen.

„Erste Überlegungen zur Industrieansiedelung am Hungerberg gab es Ende der 1990er-Jahre. Seitdem haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend geändert. Wenn wir heute Entscheidungen für die Zukunft treffen, dann reicht es nicht aus, auf alte Überlegungen und alte Verhaltensweisen zurückzugreifen“

Michael Hahn

Der Klimawandel schreite von Jahr zu Jahr schneller fort, der Grundwasserspiegel sinke großflächig, es gibt das neue Problem Insektensterben. Immer mehr Menschen würden wahrnehmen, dass Ressourcen – auch freie Flächen – begrenzt sind und trotzdem in atemberaubendem Tempo verbraucht würden. Der Verlust der Biodiversität werde von Umweltwissenschaftlern nach Pandemie, Ressourcenknappheit und Klimawandel genannt.

„Auch in unserer Gemeinde ist die Zivilgesellschaft nicht mehr bereit zu akzeptieren, dass Politik und Wirtschaft allein über ihre Zukunft entscheiden. Sie traut den seit Jahrzehnten vorgetragenen Argumenten ,Arbeitsplätze‘ und ,Gewerbesteuer‘ nicht mehr. Gebetsmühlenhaft vorgetragene Totschlagargumente ziehen nicht mehr“, sagte Michael Hahn. Vor Dettingen würden nun mehrere Wochen Zeit liegen, Argumente auszutauschen und Fakten auf den Tisch zu legen.

Eßlinger Zeitung: Artikel zur Begehung des Hungerbergs

Wir freuen uns, dass wir den Artikel von Thomas Schorradt in der Esslinger Zeitung vom Montag, den 3. Mai 2021 hier veröffentlichen dürfen. An der Stelle möchten wir uns dafür recht herzlich bei der Redaktion der Esslinger Zeitung bedanken:

Wird der Hungerberg auf Diät gesetzt?

Gegen die vom Verband Region Stuttgart in Übereinstimmung mit der Gemeinde Dettingen vorangetriebene Bebauung des Gewanns Hungerberg formiert sich der Widerstand. Eine Bürgerinitiative hat sich zum Ziel gesetzt, den regionalen Grünzug, als der das Gebiet bisher im Flächennutzungsplan ausgewiesen ist, zu erhalten. Auf einem Spaziergang in das umstrittene, von der Autobahn 8 und der Bundesstraße 465 eingegrenzte 42 Hektar große Flurstück unter der Teck haben die Initiatoren nun den öffentlichen Schulterschluss gesucht. Gut 100 Dettinger waren dem Aufruf der Initiatoren gefolgt und hatten sich am Sonntag einen Eindruck vor Ort gemacht. „Wir fordern, dass endlich alle Fakten auf den Tisch kommen. Die Bürger müssen in die Lage versetzt werden, sich selbst ein Bild von den  Plänen machen zu können“, sagt der Sprecher der Bürgerinitiative, Michael Hahn. Letztlich müsse auch die Entscheidung in die Hände der Betroffenen gelegt werden. Erklärtes Ziel der Bürgerinitiative ist es, einen Bürgerentscheid über die Zukunft des Hungerbergs herbeizuführen.

Ein solcher Flächenverbrauch, wie er hier geplant wird, ist in Zeiten des Klimawandels nicht mehr zu rechtfertigen.

Michael Hahn

Hahn und seinen Mitstreitern stößt nicht nur sauer auf, dass in dem aus Sicht der Bürgerinitiative schlimmsten Fall am Hungerberg 42 Hektar offenes Land überbaut werden könnten. Auch an der Informationspolitik der Gemeinde lässt die Bürgerinitiative kein gutes Haar. „Salamitaktik“ nennt Hahn das Vorgehen von Bürgermeister Rainer Haußmann. Negative Auswirkungen würden, wenn nicht gleich unter den Tisch gekehrt, so doch zumindest kleingeredet. In der Ansiedlung, von der bisher nur bekannt ist, dass es sich um eine Zukunftstechnologie handelt, in deren Gefolge 800 Arbeitsplätze entstehen sollen, sieht die Bürgerinitiative mehr Schaden als Nutzen. Von den Arbeitsplätzen würde Dettingen kaum profitieren, weil das Unternehmen seine hoch qualifizierten Fachleute mitbrächte, bei erwarteten 13 000 Fahrzeugbewegungen pro Tag seien Staus in und rund um die Gemeinde vorprogrammiert, die Firmengebäude, auch wenn sie noch so „windschnittig“ ausgeführt würden, blockierten wichtige Kaltluftströme und der Bebauung würde bester Ackerboden geopfert. Das zusammen mündet in die von Michael Hahn formulierte Schlussfolgerung: „Ein solcher Flächenverbrauch ist in Zeiten des Klimawandels nicht mehr zu rechtfertigen.“ Das sieht der Verband Region Stuttgart mehrheitlich anders. Der Dettinger Hungerberg gehört zu den wenigen Standorten in der Region, deren Zuschnitt, Ausdehnung und Lage es möglich macht, zukunftsträchtige Technologien anzusiedeln. Unter der Hand heißt es, ein Global Player aus der Autoindustrie hätte ein begehrliches Auge auf das Gelände geworden, um dort seine Brennstoffzellen-Entwicklung voranzutreiben. In der Regionalversammlung steht lediglich die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen dem Ansinnen, aus dem regionalen Grünzug einen strategischen Vorhaltestandort für Gewerbe zu machen, ablehnend gegenüber. Der Dettinger Gemeinderat, der den Bebauungsplan auf den Weg bringen muss, marschiert zwar bisher im Gleichschritt mit der Regionalversammlung. Doch immerhin hatte es in seiner Novembersitzung der Stimme des Bürgermeisters bedurft, um aus dem drohende Patt doch noch eine denkbar knappe Entscheidung für die Umwidmung des Gebiets zu machen. Für die Bürgerinitiative geht es nun darum, sieben Prozent aller wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger dazu zu bewegen, ein Bürgerbegehren einzufordern. Dazu sind rund 350 Unterschriften erforderlich. Der Gemeinderat muss dann überprüfen, ob das schriftlich eingereichte Bürgerbegehren zulässig ist. Ist das der Fall ist, leitet er die Durchführung eines Bürgerentscheides ein. Sollte der  Erfolg haben, wäre das das Aus für die Gewerbeansiedlung am Hungerberg. „Ein erfolgreicher Bürgerentscheid würde uns die Geschäftsgrundlage entziehen“, hat die Regionaldirektorin Nicola Schelling in der jüngsten Sitzung der Regionalversammlung am vergangenen Mittwoch festgestellt.