Leserbrief: Reduzierung auf 21 Hektar als Mogelpackung

Zum Artikel „Die massive Kritik zeigt Wirkung“ vom 3. Februar

Die am vergangenen Mittwoch großartig angekündigte Reduzierung von 42 auf 21 Hektar entpuppt sich bei genauem Hinschauen als einfache Mogelpackung. Zunächst sollen im Flächennutzungsplan zwar „nur“ 21 Hektar eingeplant werden, allerdings mit der Option später bei Bedarf in weiteren Schritten nachzulegen. Die Begründung des Dettinger Gemeinderats ist u.a., dass man mit diesem Vorgehen die Akzeptanz bei der Bevölkerung erhöhen möchte. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass hier auf einer weithin sichtbaren Anhöhe ein Gewerbegebiet entstehen und in späteren Schritten weiter wachsen soll. Damit würde nicht nur das sehr schöne Landschaftsbild dauerhaft zerstört, sondern auch ein Gebiet zur Naherholung. Hinzu kommt, dass dieses Gebiet im Bereich der Kaltluftzufuhr für Kirchheim liegt. Diese Problematik war bereits ein schwergewichtiges Argument gegen die ursprünglich geplante „Huckepack-Lösung“  der Schnellbahn-Trasse. Damals sollte die Bahnstrecke auf Stützen auf die Autobahn aufgesetzt werden, was dann aber aufgrund des Widerstandes wieder verworfen wurde.

Ich kann nur hoffen, dass der Gemeinderat nochmals über die weitreichenden Konsequenzen für Kirchheim nachdenkt und die Zustimmung zur Grundsatzvereinbarung des strategischen regionalen Vorhaltestandorts verweigert. Ansonsten könnte es passieren, dass Kirchheim in Zukunft einen unrühmlichen Bekanntheitsgrad erreicht, nämlich als die Stadt, die ohne zwingenden Grund ein weithin bekanntes sehr schönes Landschaftsbild mit der Teck im Hintergrund zerstört hat.

Joachim Gübele, Kirchheim

Leserbrief: Die Bürger müssen befragt werden

Zum geplanten Gewerbegebiet „Dettinger Hungerberg“

Herr Kiefer schreibt in seinem Leserbrief vom 4. März, dass er den Überblick über all die Leserbriefmeinungen verloren hat. Angesichts der vielen unterschiedlichen Leserbriefe ist das auch nicht verwunderlich. Eines lässt sich aus dieser vielfältigen Beteiligung jedoch ganz klar erkennen: Das geplante riesige Gewerbegebiet bewegt die Bewohner der Region intensiv. In den zurückliegenden Wochen habe ich mich mit vielen Anwohnern unterhalten. Bei allen herrscht großes Entsetzen darüber, was unsere Gemeinderäte da über unsere Köpfe hinweg durchsetzen möchten. Natürlich wurden die Gemeinderäte demokratisch gewählt. Das gibt diesem Gremium jedoch nicht das Recht, aus unserer schönen Stadt inmitten einer sehr schönen landwirtschaftlich geprägten Region eine hässliche, lärmende und stinkende Industriezone zu machen. Dieses Mandat haben die Gemeinderäte bei der letzten Wahl nicht automatisch mitbekommen. Andere Kommunen in der Region Stuttgart, in denen zuvor wegen eines Gewerbegebiets dieser Größe angefragt wurde, haben angesichts der Ablehnung in der Bevölkerung NEIN gesagt. Wir sollten jetzt nicht die Rolle des „gutmütigen Dorftrottels“ spielen und dies alles über uns ergehen lassen. Ich fordere deshalb von unseren Bürgermeistern mit Gemeinderäten, dass in diesem wichtigen Thema die Bürger befragt werden. Nur so kann verhindert werden, dass es zu einem langfristigen Bruch zwischen Bewohner und Gemeinderäten kommt.   

Joachim Gübele, Kirchheim

Vortrag von Prof. Dr. Martin Dieterich

Bereits 1992 hat der BUND Kirchheim in seinem Stadtentwicklungskonzept erstmals die Festlegung einer Obergrenze der Überbaubarkeit der Gemarkung gefordert. Eine streng logische und eigentlich für jedermann verständliche Forderung – die Gemarkungsfläche ist sichtbar begrenzt und man kann nicht unbegrenzt immer weitere Stücke davon abschneiden. Dennoch ist die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit der verfügbaren Flächen in Kirchheim in den entsprechenden politischen und Verwaltungsgremien nie erfolgt – so die Aussagen in der letzten gemeinsamen Sitzung der Naturschutzverbände mit Gemeinderatsfraktionen und Verwaltung im November letzten Jahres. In der letzten gemeinsamen Sitzung haben wir erstmals die Forderung auch nach Zielen für die Bevölkerungszahl vorgetragen, weil natürlich der Anstieg der Bevölkerungszahl und Neuausweisung von Wohn- und Gewerbeflächen Hand in Hand gehen. In der Praxis sind Bevölkerungswachstum und Wachstum der Siedlungsfläche sich gegenseitig aufschaukelnde Prozesse.

Freiflächen dienen nicht nur der Erholung, sondern primär der landwirtschaftlichen Nutzung und damit der Produktion von Nahrungsmitteln. Der Vorteil kurzer Verarbeitungswege, von regionalen Produkten und regionaler Produktion wird aktuell und völlig zurecht im Zusammenhang mit der Corona-Krise wieder verstärkt diskutiert. Die Produktion von Nahrungsmitteln braucht Böden. Wohn- und Gewerbegebiete zerstören Böden und damit die Grundlagen für Landwirtschaft. In Deutschland ermöglichen das Zusammenspiel von günstigem Klima und günstigen Bodenbedingungen optimale Rahmenbedingungen für landwirtschaftliche Produktion. Wir gehören im globalen Maßstab zu den besten Produktionsstandorten für Nahrungsmittel und uns fällt nichts Besseres ein, als eben diese Standorte zu betonieren und zu asphaltieren! Wir betonieren und asphaltieren die besten Böden und importieren gleichzeitig Nahrungs- und Futtermittel in einem eigentlich dramatischen Umfang – ethisch völlig inakzeptabel. Nicht nur deshalb ist die Erhaltung von Böden und Freiflächen alternativlos – dies ganz im Gegensatz zur Ausweisung von Gewerbegebieten im Außenbereich! Das was ich mit dem Hungerberg wahrnehme, war für mich bis vor einem Jahr unvorstellbar, nämlich der Rückfall in die 1970iger Jahre in Bezug auf den Flächenverbrauch mit den immer gleichen und anscheinend nie überholten Argumenten – wir dürfen uns neuen Techniken nicht verschließen und dafür braucht es Fläche. Immer dieselbe Platte höre ich seit über 40 Jahren. Derzeit dann noch gewürzt mit Öko – wir dürfen uns neuen Techniken für den Klimaschutz nicht verschließen und dafür braucht es angeblich unbebaute Fläche. Man würde sich im Sinne einer Obergrenze der Bebaubarkeit freuen, wenn die Protagonisten der entsprechenden Uraltargumente auch irgendwelche Lösungsvorschläge für die Probleme hätten – haben sie aber nicht, wird ignoriert und verdrängt. Der immer vorgetragene und nachhaltig nicht zu befriedigende Flächenbedarf war und ist nie wirklich nachgewiesen. Ist der Bedarf objektiv geprüft, sind Alternativen im Bestand objektiv geprüft? Mir wäre kein solcher Fall wirklich bekannt! Dies vor dem Hintergrund, dass die Überbauung von Freiflächen in jeder Beziehung einträglicher ist, als das Flächenrecycling im Bestand. Ist Flächenrecycling vor allem auch deshalb nicht gewollt, weil sich so viel weniger damit verdienen lässt? Weiterer Flächenverbrauch ist nicht alternativlos, eine Fortschreibung der bisherigen Politik der Flächennutzung ist rational nicht darstellbar und ethisch verwerflich. Ein Stopp dem Flächenfraß, also kein weiterer Flächenverbrauch ist alternativlos! 

Vor dem Hintergrund der aktuellen flächenzehrenden Planungen sehen die Naturschutz- und Umweltverbände in Kirchheim – und ich denke ich spreche hier auch für den NABU -die Mobilisierung der Bürger gegen diesen einem kurzfristigen Denken entspringen Irrsinn mit Namen „Vorhaltestandort Hungerberg“ als einzige Möglichkeit. Dieser Mobilisierung im Hinblick auf die Gewerbeflächen am Hungerberg dient der heutige Abend. Ziel des Abends ist es, dass sich Bürger auch außerhalb der Verbände finden, die bereit sind sich gegen die laufenden Planungen zu engagieren. Nahziel ist dabei sicherlich zunächst die Verhinderung des Gewerbestandorts am Hungerberg. Fernziel im Idealfall der verantwortungsvolle Umgang mit der nicht erneuerbaren Ressource Boden im Bereich der Verwaltungsgemeinschaft Kirchheim – Dettingen – Notzingen.

Prof. Dr. Martin Dieterich ist Agrarökologe an der Universität Hohenheim